„Auf dem Weg in eine inklusive Zukunft“
Inzwischen ist es genau 10 Jahre her, dass die UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet wurde. Ihre Umsetzung ist ein langer Weg und umfasst nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche.
Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass das Thema in der Jugendhilfe und bei den Hilfen zur Erziehung angekommen ist und deshalb habe ich auch gerne als Podiumsgesprächspartner beim 2. Thüringer Fachkräftekongress der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfen zur Erziehung im Audimax der Fachhochschule Erfurt zugesagt. Aus der Zeit als Ansprechpartner der Landesregierung für Antidiskriminierung, weiß ich um die vielen Aufgabenfelder und auch in der Kommunalpolitik begegnen sie mir immer wieder.
Moderiert wurde die Abschlussveranstaltung der zweitägigen Tagung von Sina Peschke und das Improvisationstheater „Die Schotte“ setzte zum Thema Inklusion den Startpunkt. Gemeinsam mit Sabine Berninger (Die LINKE) und Martina Reinhardt, Leiterin Landesjugendamt Thüringen habe ich bei der Podiumsdiskussion dabei über zwei große Themenkomplexe diskutiert. Nachfolgend in Kurzform einige der Fragen und meine Antworten darauf.
1. „Inklusion im Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE) in Thüringen“
Stichwort Kinder- und Jugendstärkungsgesetzt (KJSG) – wenn es im September 2017 im Bundestag beschlossen werden sollte – kommt es ohne die ursprünglich geplanten Passagen zur Inklusion – gut so oder hätte Sie sich die Ursprungsfassung gewünscht?
Das Gesetz zur Stärkung SGB VIII wurde vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat von der Tagesordnung abgesetzt – eine Verabschiedung am 22.9.2017 kurz vor der Bundestagswahl erscheint fraglich. Insofern ist es richtig Forderungen, zur Aufnahme einer Stärkung des Inklusionsgedankens erneut vorzubringen und um Mehrheiten dafür in den Bundesländern und im Bund zu werben. Nach der BTW werden dann erneut Entscheidungen anstehen. Die Stellungnahmen der Träger sind diesbezüglich deutlich.
Wie soll in Thüringen die Behindertenrechtskonvention in den Einrichtungen der HzE umgesetzt werden, wenn es keine gesetzlichen (Landes)Vorgaben gibt? (besonders die Artikel 1, 4 (1) a, 5, 7, 23 (4) und (5)
Das Beispiel in den Einrichtungen der HzE ist exemplarisch. Die Thüringer Bauordnung ist beispielsweise bezüglich des Neubaus von Gebäuden auf Barrierefreiheit ausgerichtet, benennt aber Einrichtungen der Jugendhilfe ausdrücklich nicht – da gibt es Regulierungsbedarf! Das ThürGIG (Gesetz zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration für Menschen mit Behinderung war für 2016 angekündigt und sollte 2017 in Kraft treten – ist es aber noch nicht. Auch da gibt es noch Arbeit.
Welchen Zeitraum halten Sie für einen realistischen, in dem man eine inklusive Betreuung in den Einrichtungen der HzE implementieren kann?
Der Maßnahmeplan des Behindertenbeauftragten zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sollte dazu Empfehlungen enthalten, die vom Landesgesetzgeber aufgegriffen werden können – leider liegt dieser noch nicht vor. Wann und was er beinhaltet kann nur die Landeregierung oder die Koalition beantworten. Vor 10 Jahren wurde die UN-Konvention verabschiedet – eine vollständige Umsetzung (wenn diese je erreicht werden kann) wird leider noch sehr lange dauern.
Es wird eine inklusive Ausrichtung der HzE gefordert, doch tun wir uns zum Teil schon sehr schwer mit der Integration (z. B. von unbegleiteten minderjährigen Ausländern) – wie passt das zusammen? Vor welchen Herausforderungen stehen die erzieherischen Hilfen dabei?
Integration von UMA ist eigentlich das gleiche Thema – insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass es dabei auch um junge Menschen mit individuellem Hilfebedarf geht. Maßnahmen der HzE sollen angemessen und wirksam sein, um Folge- oder Dauerkosten zu vermeiden. Es gibt den gesetzlichen Anspruch der den Kreis der Unterstützungsbedürftigen nicht einschränkt. Deshalb müssen dafür die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Kommunales Bewusstsein dafür muss gestärkt werden und die Hilfeplanung muss in enger Vernetzung von Jugend- mit Sozialämtern erfolgen. Bei Diskussion Inklusion in Kitas und Schulen sind wichtige Stichworte – Fachpersonal – fachliche Qualifikation – Alltagsbegleiter – Sprachbarriere bei Hilfeplangesprächen.
Wie leistungsfähig und leistungsbereit ist das bestehende Jugendhilfesystem?
Das Jugendhilfesystem ist leistungsfähig und leistungsbereit. Die Frage ist eher wie leistungsbereit ist die Gesellschaft ausreichend Finanzmittel bereit zu stellen – skandinavische Länder sind uns da deutlich voraus. Dilemma der Sozial- und Jugendpolitiker vs. Finanzpolitiker in allen Fraktionen. Adressat des SGB VIII sind im Wesentlichen die örtlichen Träger, somit geht jede Änderung nur im Einklang mit Kommunen/Ländern.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die bei der Umsetzung des Inklusionsgedankens in den HzE ergriffen werden müssen (sächlich und personell)?
Verweis auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur „Weiterentwicklung und Steuerung der HzE“ (Sept. 2015) u.a. Steuerungsverantwortung des Jugendamtes, ausreichen personelle Ressourcen bei sozialen Diensten, Fachkräfte mit angemessenen Kompetenzen zum Fallverstehen, spezifische Kommunikationsbedarfe
Wie erfolgt die Unterstützung des Inklusionsgedankens im Bereich der HzE von Seiten der Politik? (verbindliche Aussagen zur eigenen Verantwortlichkeit)
Themen aufnehmen und um Mehrheiten streiten – zuständige Gremien zur Befassung anregen Stadtrat, Landtag
Wie können in der zukünftigen Kooperation von Jugendhilfesystem und Sozialhilfesystem gelingende Übergänge gestaltet und Schnittstellen im Sinne der Kinder und Jugendlichen gestaltet werden?
Kooperationshürden beseitigen – bsp. Kita-Erzieherinnen, Tagespflegepersonen oder Lehre bei Hilfeplangesprächen einbeziehen
Die geplante Gebietsreform in Thüringen wird die Jugendhilfelandschaft ändern – wie kann die Politik hier unterstützen? Worauf muss geachtet werden?
Die Gebietsreform, wenn sie denn 2021 überhaupt in der Form kommt, wird zunächst nur die Größe der Landkreise und Kommunen ändern und damit neue Planungsprozesse erfordern. Einher geht damit aber das Landesprogramm für das solidarische Zusammenleben der Generationen.
Wie können dabei regionale Disparitäten ausgeglichen werden? (gezielte kommunale Sozialplanung)
Kommunale Verantwortung – Sozialraumplanung – analog Jugendhilfeplanung (gesetzlich vorgeschrieben). Einführung der Jugendpauschale als Bsp. für Landesprogramm Trägervielfalt – Bestandssicherung – bedarfsgerechter Ausbau
2. „Die Menschen in den Hilfen zur Erziehung – Betreute, Eltern, Fachkräfte – und Inklusion“
Erwarten Sie Probleme bei der inklusiven Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die nicht immer das Maß an Toleranz und Empathie aufbringen können und Kindern mit körperlichen und geistigen Behinderungen? (Schutzraum von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung)
Ja, leider. Die Diskussion um die Abschaffung der Förderschulen ist dafür exemplarisch. Es gibt berechtigte Ängste der Eltern aufgrund fehlende Ressourcen.
Wie kann man der Stigmatisierung von in den HzE betreuten Kindern und Jugendlichen entgegenwirken?
Indem ihre Situation nicht immer problemorientiert sondern chancenorientiert diskutiert wird. Darüber hinaus sind dabei die betreuenden Fachkräfte und die Träger besonders gefordert.
Wie kann das System Familie in einer inklusiven HzE eingebunden werden? (Wahlrecht der Eltern)
Mehr Mitsprache und Information bei der Hilfeplanung – angemessene und geeignete Maßnahmen. Jugendamt als Partner und nicht als Gängelungsbehörde. Jeden Einzelfall ernst nehmen.
Wie können die im Bereich der HzE tätigen Fachkräfte vorbereitet, beteiligt und mitgenommen werden, um den Gedanken der Inklusion umzusetzen?
Durch Qualifikation und verbindliche Fortbildung – Bsp. Schule und Kita. Dazu muss es sowohl ausreichend Mittel, als auch Freiräume geben.
Mit der Umsetzung der Inklusion werden sich auch die Berufsbilder der eingesetzten Fachkräfte in den Einrichtungen der HzE ändern. Wie kann Politik dabei unterstützen, dass gut ausgebildete Fachkräfte in ausreichender Quantität zur Verfügung stehen?
Sicherung von Fachkräften in allen Bereichen – Wertschätzung, gute Rahmenbedingungen, gute Bezahlung, und Abschaffung von Arbeitsvertragsbefristungen.
Viele der Themen konnten gestern Abend nur angerissen und kurz diskutiert werden. Ich wünsche mir sehr, dass sich die Diskussion auf kommunaler und auf Landesebene fortsetzt.