Frustabbau und Nachbeben
Thomas Kemmerich hat nach 24 Stunden angekündigt als Ministerpräsident zurück zu treten. Überrascht hat mich daran nur, dass es dann doch so schnell ging. Gestern Vormittag kurz nach neun hat sich Kemmerich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Staatskanzlei als neuer Ministerpräsident vorstellt. Er stand dazu am Rednerpult, wo am Tag zuvor sich der Chef der Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff sich verabschiedet hatte.
Nach den heftigen Reaktionen Stunden zuvor wird es Thomas Kemmerich sicher schon gestern Vormittag klar gewesen sein, dass er diesen Druck nicht aushalten wird. Nachdem es im Laufe des Tages von allen Seiten Wortmeldungen gab und diese ausnahmslos kritisch waren, ging es noch schneller als gedacht. Angela Merkel äußerte sich in Südafrika. Christian Lindner und Annegret Kramp-Karrenbauer kamen zu Gesprächen nach Erfurt und nahezu jeder der meinte, seine Meinung sei wichtig, äußerte sich in den sozialen Medien. Am Nachmittag trat Kemmerich vor die Presse und kündigte seinen Rückzug und den Antrag der FDP auf Neuwahlen an.
Es wird zu diesen Neuwahlen nicht kommen, weil keine der Parteien (bzw. der gewählten Abgeordneten) das wirklich will Nach der Verfassung müssten 30 Abgeordnete das Verfahren beantragen. Beschließen müssten es dann 60. Es ist unwahrscheinlich dass dabei 60 mitmachen. CDU hat Angst vor Neuwahl (zu Recht), die Linken wollen dass Bodo Ramelow so schnell wie möglich wieder ins Amt kommt (Neuwahlen könnten ca. 3 Monate dauern). Grüne, SPD und FDP müssten Angst haben, überhaupt wieder in den Landtag zu kommen. Nur die AfD würde was von Neuwahlen haben (erwarteter Stimmenzugewinn) und das wollen alle anderen natürlich nicht.
Ich denke das wahrscheinlich Szenario wird sein, dass Kemmerich die Vertrauensfrage stellen wird, verliert und der Landtag innerhalb von 21 Tagen Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen wird. Dabei wird er die Stimmen von Rot-Rot-Grün bekommen – vielleicht auch drei bis vier mehr, es wird zahlreiche Gegenstimmen geben und zahlreiche Enthaltungen. Aber auch danach wird es nicht einfach normal weiter gehen. Ich sehe wenige Chancen auf Kompromisse bei Gesetzen und Entscheidungen des Landtags. Das was in den letzten zwei Tagen passiert ist, wird noch lange nachwirken.
Meine persönliche Meinung zu dem Thema ist, dass es falsch von Thomas Kemmerich war, die Wahl anzunehmen. Ich denke allerdings, dass es nicht geplant war. Mich befremdet aber dabei, dass die Politikprofis aller Parteien (und ich meine alle) darauf nicht vorbereitet waren. Ich hoffe, dass dies der AfD mittelfristig nicht nützt. Zu platt und durchschaubar war deren Absicht und die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hält diese Typen nur für krawall- aber nicht für politikfähig. Im Umgang mit der AfD war meine Meinung immer klar. Für die CDU darf es weder Koalitionen noch Kooperationen mit denen geben – für mich ist klar, dass ich ansonsten die CDU verlassen würde.
In den letzten beiden Tagen ist viel Vertrauen in die CDU und die FDP verloren gegangen. Ich sehe nicht wie dies kurzfristig zurück gewonnen werden kann. Aber auch die anderen politischen Akteure haben Fehler gemacht. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie sie zwar offiziell von vielen Seiten gewünscht wird, wird für längere Zeit sehr schwer werden. Ich habe dies gestern schon geschrieben und bleibe auch heute dabei: die Debatten- und Umgangskultur in der Politik und Gesellschaft ist auf einem neuen Tiefpunkt. Die permanenten Beleidigungen und Beschimpfungen – insbesondere auch aus dem linken und grünen Lager – werden nicht dazu führen, dass man sich zu einer respektvollen Zusammenarbeit an einen Tisch setzt. Dies muss aber das Ziel sein und dazu müssen nun viele erst einmal mindestens einen Gang zurückschalten.