Memes vor fast 100 Jahren

Ende der 20ger bis Anfang der 30ger Jahre begann der Aufstieg der Nationalsozialisten. Dagegen gab es Protest und Widerstand – leider am Ende erfolglos und mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. John Heartfield war einer derjenigen, die energisch protestierten. Seine Werke sind derzeit – neu kommentiert – in der Erfurter Kunsthalle zu sehen.

Die Ausstellung »33 Geistesblitze. Antifaschistische Fotomontagen von John Heartfield, 2024 neu gelesen« zeigt die ganzseitigen Originalabdrucke aus der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ), die schon damals als Markenzeichen dieses Blattes galten. Wie in einem Brennglas verdichteten sie geschickt aktuelles Geschehen zu einer agitatorischen Botschaft, meist gegen das NS-Regime und die faschistischen Diktaturen in Europa gerichtet. Mit ihrem Humor, aber auch ihrer Schärfe und Kompromisslosigkeit erinnern sie in vielem an die Memes, die wir aus den Sozialen Medien unserer Tage kennen: kurze, oft ironische Kommentare, montiert aus medialen Versatzstücken.

Zahlreiche Heartfield-Montagen wären heute sicherlich Meme-fähig – etwa der »Sinn des Hitlergrußes«, das »wandelnde Beefsteak«, das Hakenkreuz aus Henkersbeilen oder das Mimikry Hitlers mit Hilfe eines rauschenden Karl-Marx-Bartes. Aber lassen sich diese Schlagbilder aus einer vergangenen Epoche überhaupt noch auf die gegenwärtige Situation beziehen, oder sind und bleiben sie historische Artefakte, gut aufgehoben nur noch in Museen und Geschichtsbüchern? Wenn wir sie heute neu lesen, mit dem Wissen um das, was an Schrecken auf sie folgte und Heartfield bestenfalls vorahnen konnte, tun wir ihnen nicht in gewisser Weise Unrecht, wenn wir sie nun als Akte des Widerstands überhöhen? Und mit Blick auf unsere gegenwärtige Situation besonders bedeutsam: Braucht es heute »mehr Heartfield«? Oder ist der verkürzte, oft bewusst verletzende, meist spekulative und in jedem Fall propagandistisch gemeinte Kommunikationsstil solcher Memes überhaupt angemessen für einen politischen Diskurs, an dem ja gerade derart populistische Einlassungen immer wieder kritisiert werden?

Solchen und weiteren, für die politische Auseinandersetzung im Wahljahr 2024 wichtigen Fragen widmete sich gestern ein Diskussionsabend in der Erfurter Kunsthalle, an dem ein Podium aus Thüringer Persönlichkeiten, die auch Heartfields Montagen für die Ausstellung kommentiert haben, im Gespräch mit dem Publikum die Rolle pointierter Meinungsbeiträge für die demokratische Willensbildung erörterten.

Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei, Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge der Thüringer Landesregierung und Prof. Dr. Christiane Kuller, Professorin für Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik an der Universität Erfurt diskutierten auf dem Podium. Michael Tallai von der Funke Medien Thüringen, neben Prof. Dr. Dr. Patrick Rössler von der Universität Erfurt, Initiator der Ausstellung, führte in das Thema ein. Die LZT hat die Ausstellung mit unterstützt und wir werden sie wohl auch weiterhin begleiten.

Bilder von der Podiumsdiskussion

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