Ostern in Israel in schwierigen Zeiten

Vor einem halben Jahr, am 7. Oktober 2023, musste die Bürgerreise der Stadt Erfurt nach Haifa wegen des terroristischen Überfalls der Hamas abgesagt werden.

Am darauffolgenden Tag wollten eigentlich 43 Erfurterinnen und Erfurter unter Leitung des Oberbürgermeisters Andreas Bausewein und mir als Stadtratsvorsitzender die Partnerstadt Haifa besuchen.

Mich beschäftigt Israel schon seit meiner ersten Reise vor 32 Jahren und hat mich nie losgelassen. Ich war dort unter anderem kurz nach dem Golfkrieg und während der zweiten Intifada. Es gab in all den Jahren immer wieder Anschläge und es war immer irgendwie Unruhe. Aber es ist und bleibt ein wunderschönes Land und für mich immer mein Lieblingsreiseziel. Ich halte häufig Vorträge über Israel – bis zum 7. Oktober zumeist über die Schönheit und Faszination des Heiligen Landes mit vielen Fotos. Seit dem 7. Oktober ist aber die Sorge dominierend und meine Vorträge handeln von der aktuellen politischen Situation.

In der Karwoche war ich nun, ein halbes Jahr später, zu meiner insgesamt 20. Reise in Israel unterwegs, um mich über die aktuelle Situation zu informieren, aber auch um Freunden in Israel zu sagen, dass die Gedanken vieler Deutschen in diesen schwierigen Zeiten auch bei den Menschen in Israel sind.

Ich wurde zuvor von Freunden und Verwandten gefragt, ob ich keine Angst hätte nach Israel zu fahren. Nein, habe ich geantwortet, ich hatte und ich habe keine Angst. In Israel leben Freunde von mir, die mit der Bedrohungslage auch schon vor dem 7. Oktober leben und umgehen mussten, ohne in Angststarre zu verfallen. Ich kenne Israel und die Menschen dort gut, um auch einschätzen zu können, was es ihnen bedeutet, dass Menschen zu ihnen kommen und zeigen, dass sie zu ihnen stehen, auch in schwierigen Zeiten.

Das Land ist geprägt von den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktober. Die Menschen sind stark fokussiert auf die Forderung nach Freilassung der sich immer noch in Gewalt der Hamas befindlichen 134 Geiseln. Überall sind Bilder von ihnen mit israelischen Fahnen zu sehen. In Tel Aviv kommen an einem zentralen Platz in der Stadt die Bürgerinnen und Bürgern täglich mit den Angehörigen der Geiseln zusammen, um sich Trost zu spenden und zu informieren. Mich hat der Besuch dort sehr traurig und nachdenklich gemacht. Als Symbol der Solidarität tragen viele Israelis eine gelbe Schleife oder ein gelbes Band am Arm oder Auto mit der Botschaft #bringthemhomenow.

Aber zugleich geht auch das „normale Leben“ in der sonst so pulsierenden Stadt Tel Aviv weiter, obwohl rund 70 Kilometer entfernt im Gaza-Streifen die Kämpfe andauern. Im meinem Hotel Tal by the Beach direkt am Strand und entlang der Uferpromenade waren nur wenige Touristen – die meisten zudem Israelis.

Ein wichtiger Gesprächspartner war für mich bei meinem jetzigen Besuch Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee. Vor einem Jahr war er noch Reserveoffizier und hat gemeinsam mit mir als Autor seine Biographie in mehreren Veranstaltungen an Erfurter Schulen vorgestellt und mit den Schülerinnen und Schülern diskutiert. Jetzt ist er wieder aktiv im Dienst der IDF und erklärt das militärische Handeln Israel und die Aktivitäten zur Befreiung der Geiseln. Mit Sorge verfolgt er aber auch die Nachrichten aus Deutschland und spricht in einem täglichen Podcast darüber, wie sich die Stimmung in Deutschland wandelt.

In Erfurts Partnerstadt Haifa, im Norden des Landes, ist die Sorge um eine Ausweitung des Konflikts spürbar. Vor zwei Wochen setzte sich Yona Yahav als alter und neuer Bürgermeister der drittgrößten israelischen Stadt in einer Stichwahl durch. Yona Yahav ist in Erfurt kein Unbekannter. Bereits bis 2018 war er Bürgermeister in Haifa und die Pflege der deutschen Städtepartnerschaften – neben Erfurt noch vier weitere deutsche Städte – lag ihm besonders am Herzen. Mit inzwischen 79 Jahren wird er noch einmal als Stadtoberhaupt Haifa führen. Am Ostersonntag hat er offiziell sein Amt angetreten. Mit dem Major-elect habe ich getroffen, um über die aktuellen Probleme der Stadt am Mittelmeer aber auch über die künftige Zusammenarbeit der Partnerstädte zu sprechen. Größte Sorge in Haifa ist nach den Worten von Yona Yahav, die Bedrohung durch die Hisbollah aus dem Norden.

Haifa liegt nur 40 km von der libanesischen Grenze entfernt. Momentan läuft das Leben in Haifa völlig normal – im Gegensatz zu den Städten und Dörfern entlang der Grenze. Dort wurden die Menschen evakuiert und sind nun schon Monate in den überall leerstehenden Hotels in Israel untergebracht. Yahav befürchtet nach Geheimdienstinformationen direkte Angriffe im Norden, die auch Haifa betreffen könnten. Als eine seiner ersten Amtshandlungen will er das Informations- und Notrufsystem für die Bürgerinnen und Bürger verbessern, um Desinformationen und Panik zu vermeiden.

Von seiner Erfurter Partnerstadt erhofft sich Yahav eine Intensivierung der Zusammenarbeit. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die vor einem halben Jahr abgesagt Bürgerreise nachgeholt werden kann. Yahav wünscht sich, dass sich die Erfurterinnen und Erfurter über die Lebenssituation der Menschen in Israel informieren und solidarisch mit ihnen bleiben. Haifa ist eine Stadt, die geprägt ist, vom guten Zusammenleben vieler Religionen und Kulturen und kann somit auch ein Vorbild sein. Einig waren ich mir mit ihm darüber, dass nach einer Normalisierung der Situation der Schulaustausch zwischen beiden Städten eine größere Rolle spielen soll.

Auf den nächsten Reisestationen konnte ich erfahren, wie sehr die aktuelle Situation Auswirkungen auf den Tourismus hat. Insbesondere die Städte entlang des Mittelmeers aber auch die Region um den See Genezareth leben vom Tourismus. Akko, die Nachbarstadt Haifas, ist bekannt für seine Kreuzritterfestung und bei vielen Reisegruppen fester Programmpunkt. Sonst wimmelt es dort vor Touristen. Jetzt erlebte ich dort eine nahezu menschenleere Stadt. Viele Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Das legendäre Fischrestaurant Uri Buri ist noch offen. Aber die Gästezahlen sind stark rückläufig. Uri Buri hofft auf die Rückkehr der Touristen, er sucht das Gespräch mit seinen Gästen und wirbt für den Dialog. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verschiedenen Religionen angehören, leben dies vor.

Auch am See Genezareth, wo die Heiligen Stätten sonst um die Osterzeit stark bevölkert sind ist es leer. Im Pilgerhaus Tabgha wurden über Ostern nur wenige Pilger erwartet. Ich hatte dadurch ein wunderschönes Zimmer mit Blick über den See Genezareth. Der Leiter des Pilgerhauses Dr. Georg Röwekamp berichtete mir beim morgendlichen Gespräch von der Situation der Christen in Israel und den besetzten Gebieten. Zu den zwei Gemeinden in Gaza gibt es aktuell keine Austauschmöglichkeiten – sie kommen nicht raus und es kommt auch keiner zu ihnen. Für die Mitarbeiter des Pilgerhauses ist zudem die Sorge groß, dass sich der Konflikt im Norden ausweitet und dann noch mehr Dörfer und Städte evakuiert werden. Aktuell gibt es rund 80.000 evakuierte Menschen, die zum Teil seit sechs Monaten in Hotels im ganzen Land versorgt werden.

Auf dem Berg der Seeligpreisungen und an der Taufstelle Yardenit war ich Gründonnerstag praktisch sogar der einzige Besucher. Mein Mietwagen stand einsam auf dem großen Parkplatz, auf dem sich sonst die Touristenbusse drängen. In Gan HaShlosha, einem der zehn schönsten Naturbäder weltweit und einem meiner Lieblingsorte in Israel, war es hingegen ganz normal und gut besucht. Allerdings ausschließlich israelische Jugendliche, die ganz normal Spaß am Baden und dem zusammen sein hatten, so wie ich es zuvor auch schon am Strand in Tel Aviv erlebt hatte.

Vom Norden Israels ging es nach Jerusalem – es gibt drei Fahrtstrecken. Die kürzeste geht durch das Jordantal und führt durch die besetzten bzw. in Teilautonomie befindlichen Gebiete. Am Vormittag meiner Fahrt gab es dort einen Anschlag auf ein vorbeifahrendes Siedler-Auto und deshalb sperrte die Armee kurzfristig die Strecke und organisierte eine Umleitung. Es war das einzige Mal während meiner Reise mit einer Einschränkung. Der Weg nach Jerusalem wird über die Autobahnen schnell doppelt so lang und dauert entsprechend bei den häufigen Staus. Aber ich war pünktlich in Jerusalem zum Abendessen bei meiner langjährigen Freundin Danila Epstein. Ich habe sie 1992 als Reiseleiterin kennengelernt und seitdem treffen wir uns regelmäßig in Israel oder Deutschland. Daniela hat mir viel erzählt über die aktuelle innenpolitische Situation. Viele Menschen sind mit der Arbeit der Regierung unzufrieden und es finden Großdemonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem statt.

Karfreitag in Jerusalem hatte ich schon einmal vor fünf Jahren mit meinen Söhnen erlebt. Damals wimmelte die Stadt vor Touristen und Pilgern. Dieses Jahr fiel hingegen die hohe Zahl von Polizisten und Armee auf. Allein 3.000 zusätzliche Kräfte waren in Jerusalem um darauf zu achten, dass nichts passiert. Einige der Soldaten waren auch in meinem Hotel (Grand Court) untergebracht. In der Altstadt war zwar viel los, allerdings durch die Zahl der Pilger entlang der Via Dolorosa, sondern wegen dem Freitagsgebet auf dem Tempelberg. Tausende Araber versammeln sich dazu traditionell und währen des Ramadan noch einmal deutlich mehr. Von der Terrasse des Österreichischen Hospizes an der dritten Station der Via Dolorosa waren viele Journalisten und Kamerateams zu beobachten, die berichteten und einige der wenigen Pilger befragten. In der Erlöserkirche waren zum deutschsprachigen Gottesdienst ganze 20 Gläubige gekommen und auch die Grabeskirche konnte man ohne dichtes Gedränge besuchen. Am Abend waren zu Messe von Abt Nikodemus in der Dormitio auf dem Zionsberg ebenfalls nur rund 40 Gläubige. Insgesamt ist es in Israel für die Christen schwierig und es gibt nur wenige aktive Gemeinden. In der aktuellen Situation fällt dies umso mehr auf.

Der Ostersamstag war zugleich Shabbat und ist für die Juden in Jerusalem dadurch ein ruhiger und religiös geprägter Tag. Außerhalb von Jerusalem bekommt man davon aber nur wenig mit, deshalb nutzen Touristengruppen meist den Tag für Touren zum Toten Meer und nach Masada. Zuvor machte ich aber noch einen kurzen Abstecher nach Qasr el Yahud, der Taufstelle am Yordan direkt an der Grenze nach Jordanien. Lediglich eine asiatische Reisegruppe war dort und auf beiden Seiten des schmalen Flusses je zwei Soldaten. Am Toten Meer herrschte dafür in Ein Boked am Sandstrand dichtes Treiben der Badegäste – alles Israelis, viele von ihnen russisch sprechend. Die Sonne und das Tote Meer ziehen immer Gäste an und jetzt Ende März ist das Klima dort am besten.

Der Ostersonntag begann mit dem Frühgottesdienst in der Himmelfahrtskirche. Um 5.30 Uhr kamen dazu die Gläubigen zusammen und feierten den Abendmahlsgottesdienst im Garten hinter der Kirche mit Blick auf die aufgehende Sonne über der judäischen Wüste. Mit der Pfarrerin, die ihr Studium und Referendariat in Ostthüringen absolviert hatte kam ich danach noch ins Gespräch. Der Ostersonntag in der Altstadt war ausgesprochen schön und ein guter Reiseabschluss mit einer ausgiebigen Kaffee- und Granatapfelsaftrunde im Cafe Rimon Himo. Seit 15 Jahren verweile ich dort am Damaskus Tor bei jedem Besuch der Altstadt. Der inzwischen 69jährige Chef Rimon begrüßt mich immer mit großem Hallo. In diesem Jahr ganz besonders, weil auch ihm die Gäste fehlen. Daher war auch seine erste Frage, wann ich wieder mit größeren Gruppen komme. Jedes Mal schreibt er mir zum Abschied einige Sätze in arabischer Sprache in mein Reisetagebuch.

Politisch wurde es auch für mich noch einmal am Abend. Der dichte Verkehr in Jerusalem entwickelte sich schon drei Kilometer vor der Knesseth zum Dauerstau. Zu der angekündigten Großdemonstration vor dem israelischen Parlament versammelten sich zwischen 100.000 (Angaben der Polizei) bis 250.000 Menschen (Angaben der Veranstalter). Die Veranstaltung der Angehörigen der Geiseln wurde zu einem beeindruckenden Statement für deren Freilassung. Tausende israelische Fahnen wehten als Ausdruck der Demokratie, aber auch als Zeichen der Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung und Benjamin Netanyahu. Der Oppositionsführer Jair Lapid kritisierte Netanyahu scharf für dessen Politik, die Israel zunehmend isolieren würde. Mitten unter den Demonstranten spürte ich, dass Israel zwar nach außen derzeit geeint auftritt, aber innenpolitisch in zwei große Lager gespalten ist. Vor einem Jahr war es die Kritik an der Justizreform, die die Menschen auf die Straße trieb. Jetzt ist es die Sorge um die Geiseln.

Eine Woche in Israel – wie immer ist sie zu schnell vergangen. Am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv stand ich unter hunderten Menschen, die verreisen wollten und habe darüber nachgedacht, wann ich das nächste Mal kommen werde. Im Oktober ist immer noch die nächste Reise der Landeszentrale für politische Bildung geplant und die Bürgerreise der Stadt Erfurt werden wir baldmöglichst nachholen. Beides wird wohl nur klappen, wenn die Reisewarnung der Bundesregierung aufgehoben ist. Dies wird erst mit einem dauerhaften Waffenstillstand in Gaza geschehen. Ich hoffe, dass sich der Konflikt nicht auf den Libanon ausweitet.

Die Menschen in Israel wünschen sich Frieden – Frieden in Sicherheit. In den nächsten Wochen werde ich viel über Israel erzählen und berichten. Meine Gedanken sind in Israel. Mireille, mit der mich eine langjährige Freundschaft verbindet, konnte ich dieses Mal nur kurz in Tel Aviv treffen. Sie erwartet in den nächsten Tagen ihr erstes Kind. Ihr und ihrem Kind und allen Menschen in der Region wünsche ich eine gute und sichere Zukunft und freue mich auf den 21. Besuch in Israel.

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