Never ending story
Langläufer sind im Sport mit Kondition ausgestattet – bei Langzeitprojekten in öffentlichen Verwaltungen nennt sich dies Beharrungsvermögen. Wenn es sich dabei um erfolgreiche Langzeitprojekte handelt, ist dies genau richtig. Wenn es sich allerdings um Planungsprojekte handelt, die jahrelang nur geplant werden, muss das Beharrungsvermögen (oder das trotzige „weiter so“) natürlich kritisch hinterfragt werden.
Gleich zwei solcher Themen haben es diese Woche einmal wieder in die Ausschüsse des Stadtrats geschafft. Das Parken auf dem Schulgelände war Thema im Finanzausschuss (siehe blog dazu). Heute ging es im Jugendhilfeausschuss um noch so einen „Langläufer“. Seit mehreren Jahren versucht die Verwaltung ein Online-Verfahren zur Vergabe von Kita-Plätzen einzuführen. Ursprünglich nannte sich das Projekt KIBEO (gab es vor vielen Jahren als kostenfreie Software des Bundesfamilienministeriums und wurde u.a. in Leipzig und Pirna genutzt).
Erfurt wollte aber etwas Eigenes entwickeln. Viel Geld wurde dafür eingeplant, ein neuer Projektname KIVAN gefunden und Firmen beauftragt. Angeblich wollte die Beigeordnete schon mehrfach den Startknopf drücken (zumindest wurde dies angekündigt). Bei der Präsentation des Systems vor Kita-Trägern stellte sich heraus, dass der erste Entwurf wenig praxistauglich war. Im JHA wurde nun informiert, dass man dieses Mal (ganz wirklich) auf der Zielgerade sei. Eine Musterpräsentation gab es schon – allerdings will ein großer Kita-Träger bis jetzt bei dem Projekt nicht mitmachen. Letzte Feinarbeiten sollen noch stattfinden und in der nächsten JHA-Sitzung sollen wir nun erfahren, wie das ganze aussieht. Es soll zudem Schulungen für die Mitarbeiterinnen der freien Träger geben.
Einen offiziellen Starttermin mochte die zuständige Beigeordnete nicht benennen. Ich habe nach der mehrjährigen Planungsphase große Zweifel, ob diese „never ending story“ ein erfolgreiches Ende findet. Das Hauptproblem ist nicht, ob die Kita-Plätze direkt oder online vergeben werden. Das Hauptproblem ist der Platzmangel. Es gibt nicht genügend freie Plätze. Das Wunsch- und Wahlrecht (Kita-Ort und inhaltliche Ausrichtung der Kita/Träger) kann in Erfurt nicht umgesetzt werden, weil die Platzvergabe eine Mangelverwaltung ist.
Die jüngste Vorlage zum ThemaSeit nunmehr sechs Jahren versucht die Erfurter Stadtverwaltung im Verantwortungsbereich der Bürgermeisterin und Sozialbeigeordneten Tamara Thierbach dem Kita-Platzmangel durch ein zentrales Vergabesystem beizukommen. Eben solange scheitert die Verwaltung mit dieser Wunschvorstellung. Die CDU-Stadtratsfraktion war schon im Jahr 2009 ausgesprochen skeptisch, weil man dem Platzmangel nur durch die Schaffung zusätzlicher Plätze beikommen kann. Das was aber die Stadtverwaltung hingegen betreiben will, ist nichts anderes als Mangelverwaltung. Die Chronologie des Versagens begann 2009 mit den Plänen für ein zentrales Vergabesystem. Die übergroße Mehrheit der freien Träger kündigte an, dabei nicht mit machen zu wollen und es stand 0:1. 2011 erklärte die Verwaltung stattdessen nun ein Online-Informationsverfahren zu präferieren. KinderBetreuungOnline (kibeo) (http://www.iska-nuernberg.de/kibeo/)nannte sich das damals gerade im Auftrag des Bundesministeriums entwickelte Online-Verfahren für Kommunen. In den Haushaltsentwurf 2012 wurden mehrere zehntausend Euro dafür eingeplant, aber schließlich nicht umgesetzt. Die Verwaltung begründete dies damit, dass das Geld sowieso nicht gereicht hätte und deshalb „andersweitig im Sozialbereich verwendet wurde“. Spielstand 0:2! Im Haushaltsentwurf 2014 tauchten dann 150.000 Euro (beim Beschluss waren es dann schließlich 120.000 Euro) auf – vorgesehen für die Anschaffung des Online-Kita-Informationssystems kibeo. Zahlreiche Kommunen vor allem in Baden-Württemberg nutzten kibeo zu dem Zeitpunkt. Als wir bei der Haushaltsberatung darauf hinwiesen, dass kibeo eine Software für Kommunen wäre und vom Bundesministerium kostenfrei bereitgestellt würde, erklärte die Beigeordnete, dass damit ja auch ein ganz anderes, ähnliches System entwickelt werden solle. Auf die Schnelle sei ihnen nur kein anderer Name eingefallen. Wie, mit wem und wann – keine Angaben und es stand 0:3. Im Oktober 2014 gab es das Ergebnis einer Ausschreibung zu dem Projekt und kurzzeitig sah es dann Anfang 2015 so aus, als ob es doch noch zu einer Wende im Spiel kommen könnte. Die Beigeordnete verkündete selbstbewusst, dass mit Beginn des Kita-Jahres 2015, also am 1. August, nun das Online-Informationsverfahren an den Start gehen wird. Zuvor wurde die Kindertagesstättenverwaltungsanwendung KIVAN im Dezember den Trägern und Elternvertretern vorgestellt. In „zahlreichen Gesprächen“ zwischen Auftragnehmer und den Projektleitern des Jugendamtes wurden zwischen Oktober 2014 und Januar 2015 angeblich alle notwendigen Absprachen getroffen und schriftlich festgehalten. Am 30. März 2015 dann das ernüchternde 0:4 – der Auftragnehmer erklärte, die zuvor zugesagte Leistung bis August 2015 nicht halten zu können. Ein gänzlich neues Produkt müsse nun entwickelt werden. Ein realistischer Einführungstermin könne deshalb erst das 1. Quartal 2016 sein. Mit der Drucksache 839/15 wird dies nun dem Jugendhilfeausschuss als „Information der Verwaltung“ mitgeteilt. Verschwiegen wird in der Vorlage, dass es das KIVAN-Projekt seit dem 1. August 2013 in Leipzig bereits gibt. (https://www.meinkitaplatz-leipzig.de/Default.aspx) Die Lecos GmbH wirbt auf ihrer Homepage mit den Vorteilen für Kommunen, Kitas, Träger und Eltern. Pirna und Magdeburg entschieden sich ebenfalls für KIVAN und Monheim am Rhein im Mai 2014 ebenfalls. Ob und wann dieses „Lebensprojekt“ der Beigeordneten in Erfurt seinen Abschluss findet, bleibt offen. Im Ausschuss für Finanzen, Liegenschaften, Rechnungswesen und Vergaben werde ich heute beatragten dieses Thema aufzurufen. Ich möchte wissen, wie die Ausschreibung ausgesehen hat, wie der Auftrag aussah, welche Sanktionen das Fristversäumnis hat und welchen Verwaltungsaufwand die Stadt in den letzten sechs Jahren zu diesem Thema betrieben hat.
Nachtrag: Für Rot-Rot-Grün war das Thema peinlich genug, um die Dringlichkeit in der heutigen Ausschusssitzung abzulehnen. Nun gut, dann wird uns das Thema dann am 6. Mai in der nächsten regulären Sitzung beschäftigen.
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