Herbsttreffen der Erfurter Brücke 2016 zum Thema Generationengerechtigkeit

Bundesgenerationenspiele gehören zur Caritas-Kampagne
Bundesgenerationenspiele gehören zur Caritas-Kampagne
Generationengerechtigkeit ist das Thema der diesjährigen Jahreskampagne des Deutschen Caritasverbandes und es trifft den Nerv der Zeit. Seit vielen Jahren wird über Generationengerechtigkeit diskutiert, aber erst jetzt ist das Thema umfänglich in der medialen und gesellschaftlichen Wahrnehmung angekommen. Das dies so ist, liegt vor allem am demografischen Wandel und den Sorgen darüber, ob der sogenannte Generationenvertrag künftig noch Bestand haben und die Rente bezahlbar sein wird. Als Generationenbeauftragter der Thüringer Landesregierung habe ich von 2010 bis 2015 dieses Themengebiet bearbeitet und habe mich deshalb sehr über die Einladung und die Gelegenheit, einige Gedanken zur Kampagne der Caritas beim heutigen Herbsttreffen der Erfurter Brücke beitragen zu können, gefreut. Wenn wir heute über Generationengerechtigkeit und den demographischen Wandel sprechen, hat dies vor allem mit den dramatischen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur in den neuen Bundesländern zu tun. Drei Dinge sind bei den Betrachtungen für Demographie-Interessierte zunächst von besonderem Interesse: – der Rückgang an Geburten, – die Abwanderung, – die steigende Lebenserwartung der Menschen 20161107_182520Geburtenentwicklung und Abwanderung Der starke Geburtenrückgang nach der Wende, man kann berechtigt von einer „demographischen Vollbremsung“ sprechen, kommt jetzt in den Ausbildungsjahrgängen und bei den potentiellen Eltern der nächsten Jahre an. Hinzu kommt noch die Abwanderung insbesondere von jungen Frauen in den letzten Jahren aus Mitteldeutschland. Thüringens Einwohnerzahl reduzierte sich zwischen 1990 und 2015 um 600.000 Menschen von rund 2,7 Millionen auf 2,1 Millionen. Die Wanderungsverluste auf der Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und in Richtung alte Bundesländer waren in den letzten 20 Jahren enorm. Die jungen Frauen und Männer fehlen uns und werden nur schwer zurück zu holen sein. Auch langfristig wird sich daran nicht viel ändern, die potentielle Mütter- und Vätergeneration von heute wurde schon gar nicht mehr in der Zahl geboren, in der es noch ihre Eltern waren. Um es mit den Worten des Demographen Prof. Birg zu sagen: „Die Auswirkungen auf die Bevölkerung können schlimmer sein, als der Dreißigjährige Krieg.“ Und „Nichtgeborene können selbst bei bester Familienpolitik keine Kinder haben.“. Aber wann und warum hat dies begonnen? Diesen Trend gibt es in Deutschland schon seit über 100 Jahren. Die Bismarck´schen Rentenreformen von 1889 stehen da am Anfang. Die letzte Elterngeneration die sich komplett reproduzierte hatte, stammt aus dieser Zeit mit dem Geburtsjahrgang 1880, d.h. mit Beginn des 1 Weltkrieges war Schluss mit einer Geburtenquote von 2,1 oder mehr. Lediglich in den Jahren 1955 bis 1965 sorgte der Babyboom der Aufschwungzeit für einen kurzzeitigen Anstieg der Geburten. Mit dem Pillenknick Anfang der 70iger Jahre war damit endgültig Schluss – in West und Ost. 1964 wurden 1,4 Millionen Babys in Deutschland geboren heute ist es weniger als die Hälfte im Vergleich zu 1900 sogar nur ein Viertel. Trotz nun wieder leicht steigenden Zahlen – aktuell haben wir in Thüringen eine Geburtenquote von 1,5 – kann man nicht von einer Trendwende sprechen – eher von kurzeitigen Effekten, wie einem verschobenen Zeitpunkt für den Kinderwunsch, Elterngeld und dem Aufschwung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt. Thüringen lagen viele Jahre deutlich unter dem Bundesdurchschnitt und mit 1,21 Kindern im Jahr 2003 ganz am Ende in der Europäischen Statistik. Es gab nur eine einzige Region die noch darunter lag und dies war – Vatikanstadt! Allerdings brauchen wir da sicher nicht lange nach den Gründen suchen. Die Geburtenzahlen in Deutschland verharren auf einem niedrigen Niveau. Trotz 156 ehe- und familienbezogenen Leistungen, die es in Deutschland gibt, trotz Elterngeld, trotz Erziehungsgeld hat sich daran nichts geändert. Die skandinavischen Länder und Frankreich – für ihre Familienpolitik häufig gelobt, haben auch keine viel besseren Zahlen. Hingegen hatte viele Jahre lang ausgerechnet das ärmste Land Europas den Spitzenwert inne – in Albanien wurden die meisten Kinder geboren. Der Blick über den Tellerrand lohnt sich dabei. Denn wenn wir dies in weltweite Relationen setzen, bestätigt sich dies. In Burkina Faso werden mit einer Geburtenrate von 6,9 die meisten Kinder geboren. Dies führt zu der Frage, warum sich Eltern für oder gegen Kinder entscheiden, wann diese Entwicklung eingesetzt hat und ob da der Staat etwa tun soll, oder überhaupt tun kann. Wir beneiden Burkina Faso sicherlich um den Kinderreichtum. Kindern sind in diesem Land Teil der persönlichen Daseinsfürsorge und zum Teil, das räume ich ein, Ergebnis nicht bestehender Schwangerschaftsaufklärung und -verhütung. In einem Land in dem das Durchschnittsalter bei 55 Jahren liegt und es keine Rentenversicherung oder ähnliches gibt, tragen die Kinder ihre Eltern in der familiären Solidargemeinschaft. Alter und Pflege Wir reden über eine sich verändernde Bevölkerungsstruktur, in der der ältere Mensch und der alternde Mensch zunehmend im Mittelpunkt stehen. Dies ist kein Grund zur Klage, sondern zur Freude. Und dies ist eine Herausforderung für die Gesellschaft. Für sehr viele Menschen stehen die Chancen gut alt zu werden. Es ist ein Fakt: Die Menschen werden immer älter. Die Kinder, die heute geboren werden haben gute Aussichten ihre Urgroßeltern kennen zu lernen. 1850 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 45 Jahren, 1950 bei 70 Jahren und heute bei 85 Jahren. So vielfältig die Gründe, wie unter anderem die sich stetig verbessernde Gesundheitsvorsorge und Bekämpfung von Krankheiten, dafür sind, so lässt sich prognostizieren, dass dieses Entwicklung weiter geht. Heute geborene Mädchen können durchaus mit einer Lebenserwartung von 100 Jahren rechnen. Die Lebenserwartung steigt jährlich um 3 Monate oder umgerechnet 5-6 Stunden pro Tag! Aber insbesondere im sogenannten “vierten Alter” ab 80 Jahren aufwärts steigt auch die Bedrohung für die Selbstständigkeit der Menschen. Mit der höheren Lebenserwartung steigt die Zahl der Pflegebedürftigen Menschen deutlich an. Jüngste Prognosen des Statistischen Bundesamtes rechnen im Jahr 2030 mit 3,4 Millionen Pflegebedürftigen, also fast der Hälfte der dann über 80jährigen rund 6,4 Millionen Menschen. Allein diese Zahlen verdeutlichen, vor welch immensen Herausforderungen die Pflegebranche steht. Rund 300.000 zusätzliche Pflegefachkräfte werden bis 2020 deutschlandweit benötigt. Zu gezielter Zuwanderung raten die einen und die anderen raten zu einer finanziellen und gesellschaftlichen Aufwertung des Berufs. Vermutlich wird beides notwendig sein. Die vorliegenden Zahlen zu beklagen bringt wenig, die Demographiebücher der nächsten Jahre sind schon geschrieben. Jetzt kommt es darauf an, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Es gilt die wesentlichen Herausforderungen des demographischen Wandels, Alterung, Abwanderung und Heterogenität, zu lösen. Generationengerechtigkeit Generationengerechtigkeit bedeutet nicht, dass jeder Generation die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden (müssen). Sie bedeutet nicht, eine möglichst „gerechte“ Verteilung von Einkommen und Vermögen auf verschiedene Generationen, wie es Linke und Grüne propagieren. Generationengerechte Politik, wie ich sie verstehen, meint zunächst Teilhabe und Beteiligungsmöglichkeiten, also auch die Verwirklichung jedes Mitglieds der Gesellschaft zu ermöglichen, also Chancengerechtigkeit. Generationengerechtigkeit erfordert von der Politik keine Entscheidungen zu treffen und Gesetze zu beschließen, die einseitig Generationen belasten sowie nachfolgenden Generationen unverhältnismäßige Lasten auferlegen. Für einen generationenübergreifenden Dialog werbe ich deshalb, weil jede Generation auch die Interessen der anderen Generationen berücksichtigen muss. Dies erfordert es zu vermitteln, warum sich unsere Gesellschaft so deutlich verändert. Dies erfordert aber auch, für mehr gegenseitiges Verständnis zu werben. Dazu gehört auf eine generationengerechte Verteilung von Vorteilen und Belastungen bei der Gesetzgebung zu achten. Diese genannten Aufgaben sind Querschnittsaufgaben für viele Politikbereiche. Bei der Generationengerechtigkeit geht es um die Frage, ob nachfolgende Generationen die gleichen Entwicklungschancen haben, wie die heutige Generation. Der Begriff des Generationenkonflikts ist seit Mitte der 1990er Jahre gebräuchlich. Dabei geht es um die Frage der Rentengerechtigkeit und der Schuldenbremse. Den Demographie-Check der Bundesregierung bei Gesetzesvorhaben gibt es seit 2014. Auch in Thüringen sind noch zu meiner Zeit als Generationenbeauftragter Prüffragen in das Gesetzgebungsverfahren eingearbeitet worden, die auf generationengerechte Politik orientieren. Wie im Leben in der Familie, sollte auch die Politik nachfolgenden Generationen keinen Berg an Schulden hinterlassen, deshalb gibt es die Schuldenbremse bzw. ein Neuverschuldungsverbot in vielen Bundesländern. In den vergangenen Jahren gab es in Thüringen regelmäßig einen Familienbericht und seit 2014 auch einen Seniorenbericht. Jetzt soll es einen Generationenbericht geben, der das Verhältnis zueinander besser beschreibt.Darüber hinaus plant die Landesregierung ein Landesprogramm „Solidarisches Zusammenleben der Generationen“ ab 2018/2019. Damit sollen Familien und die kommunale Eigenverantwortung gestärkt werden. Solidarität – bei der Caritas christliche Verantwortung für den Mitmenschen – soll die Menschen näher zueinander bringen. Nachbarschaftliche Hilfe, ehrenamtliches Engagement, soziale Netzwerke sind Stichworte die bei diesem Landesprogramm im Mittelpunkt stehen werden. Ich bin der Caritas sehr dankbar, dass dieses Thema heute aufgegriffen und diskutiert wurde. Ich freue mich, wenn sich die heute junge Generation bewusst für das morgen interessiert und sich dafür engagiert!

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