
Politikerdelegation aus der Mongolei in Erfurt zu Besuch

Ihr Stadtrat für Erfurt
Der Titel des Transatlantischen Dialogs der Konrad Adenauer Stiftung Sozialpolitik in den USA und in Deutschland bot gleich mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Gemeinsam mit der Konsulin Teta Moehs vom Amerikanischen Generalkonsulat in Leipzig habe ich versucht das Thema aus dem Blickwinkel unserer beiden Länder zu beleuchten.
Zweifellos geht es dabei um die Frage wie viel Staat die Gesellschaft trägt und wie viel Staat die Gesellschaft erträgt. Unstrittig war in der Diskussion, dass die Familie der Kernort gelebter Generationenbeziehungen ist, in dem Menschen füreinander Verantwortung tragen. Allerdings gibt es schon beim Vereinsleben erhebliche Unterschiede. Über 700.000 Thüringerinnen und Thüringer engagieren sich ehrenamtlich, die meisten in Vereinen in denen nach deutschem Vereinsrecht vieles geregelt ist. Sie verbindet das gemeinsame Interesse an einem Thema oder das gemeinsame Ziel. In den USA entstehen viele Vereine im Umfeld von Schulen oder Universitäten bzw. in der Nachbarschaft, selbst Parteien haben überregional nicht die große Bedeutung als Mitgliederparteien. Hingegen gibt es eine ausgeprägte Lobbykultur und ein starkes Stiftungswesen.
Bei der Erwartungshaltung an die Gemeinde und den Staat wurden die Unterschiede am deutlichsten. Sowohl im Verständnis vom Staat als auch in der Erwartungshaltung an den Staat gibt es erhebliche Unterschiede. Die Differenzen bestehen nicht in der Sozialpolitik selbst, sondern bereits im ihr zugrundeliegenden Gesellschafts- und Staatsverständnis und dies hat eine lange Tradition.
Im angelsächsischen Raum war John Locke prägend, er baut auf die Theorie vom Gesellschaftsvertrag von Thomas Hobbes auf, wonach die Beziehung zwischen Volk und Regierung als Verhältnis einer freien bürgerlichen Eigentümergesellschaft verstanden wird. Er begründet, warum die Macht des Herrschenden eingeschränkt sein soll und er spricht sich damit für einen liberalen Staat aus, der sich nicht mehr als unbedingt erforderlich in die Belange der Bürger einmischen soll.
In den USA gab es einen starken Einfluss der Unterdrückungserfahrungen der Flüchtlinge und Aussiedler in Europa und der Erfahrungen der freien Siedler in Amerika.
In Deutschland war Georg Wilhelm Friedrich Hegel einflussreich. Nach seiner Auffassung stelle der Staat die Wirklichkeit des Rechts dar. In ihm realisiere und vollende sich die Freiheit. Eben deswegen sei es für die Einzelnen „höchste Pflicht […], Mitglieder des Staats zu sein“. Der wohlgeordnete Staat bringe das Interesse des Einzelnen und das Allgemeininteresse in Einklang. In ihm verwirkliche sich die konkrete Freiheit, in der „weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen und Wollen gelte und vollbracht werde, noch die Individuen bloß für das letztere als Privatpersonen leben und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen“. Wenn der Staat die Interessen in Einklang bringen soll, heißt das, er hat die gesellschaftlichen Verhältnisse so zu regulieren, dass Individuen vor elementaren sozialen Risiken und vor unverschuldeter Armut bewahrt werden.
In Deutschland gehört das Sozialstaatsprinzip neben dem Rechtsstaats-, dem Bundesstaats- und dem Demokratieprinzip zur Grundlage der Verfassungsordnung. Das Grundgesetz bestimmt in Art. 20 Abs. 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Das Sozialstaatsprinzip ist damit im Grundgesetz als Staatsziel verankert und verpflichtet den Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Verwaltung dazu, nach sozialen Gesichtspunkten zu handeln und die Rechtsordnung dementsprechend zu gestalten.
Schon seit 1854 beginnend mit dem Preußischen Knappschaftsgesetz reagiert der Staat auf soziale Herausforderungen und übernahm Sicherungsfunktionen. Krankenversicherung 1883, Unfallversicherung 1884, Rentenversicherung 1889, 1927 Arbeitslosenversicherung sind wichtige Meilensteine. Die Liste der Gesetze der Sozialpolitik ist lang bis zu den Sozialgesetzbüchern, der Pflegeversicherung, Gesetzen zur Tagesbetreuung und nun zum Betreuungsgeld. Daraus folgt auch in Deutschland eine intensive Diskussion, die je nach politischer Verortung unterschiedliche Antworten gibt. Es stellen sich Fragen:
– zur möglichen Überforderung des Sozialstaates,
– zur Stärkere Rolle der Zivilgesellschaft und von Freiwilligen,
– zum „aktivierenden Staat“ statt „aktiven Staat“ bzw. „Vater Staat“ vs. „schlanker Staat“,
– „Neue Soziale Marktwirtschaft“,
– „Kommunitarismus“,
– „Neue Subsidiarität“ und „Wohlfahrtspluralismus“,
– „soziale Daseinsvorsorge
Zur Daseinsvorsorge gibt es durchaus Interpretationsspiel und in der Regel weitet sich die Erwartungshaltung an die Daseinsvorsorge kontinuierlich aus. (Daseinsvorsorge ist ein verwaltungsrechtlicher Begriff, der auch in der politischen und sozialwissenschaftlichen Diskussion eine Rolle spielt. Er umschreibt die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Leistungen − die sogenannte Grundversorgung. Dazu zählt als Teil der Leistungsverwaltung die Bereitstellung von öffentlichen Einrichtungen für die Allgemeinheit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser-, und Elektrizitätsversorgung, Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Bäder usw. (Infrastruktur). Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kommunalwirtschaftlichen Betrieben wahrgenommen werden.)
In Ameria wird bei vielen Leistungen auf Eigeninitiative gesetzt. Für die Lösung von Problemen im sozialen Nahraum tun sich die Menschen zusammen. Aber am US-amerikanischen Modell gibt es auch Kritik, u.a. dass die Koordination der Aktivitäten weitgehend fehle. Zudem arbeit Initiativen, ohne von ihren sich oft überschneidenden Aktivitäten zu wissen und die Verortung der Hilfen sei oft nicht zielgerecht.
Diskutiert haben wir gestern auch die Stiftungsmentalität. In Deutschland gibt es 19.000 – in Thüringen aber nur 250. 7 Bürgerstiftungen gibt es in Thüringen – mehr als in den anderen Ost-Ländern, aber weniger als im Westen. Das Stiftungsstartkapital liegt durchschnittlich in Thüringen bei 41.000 (im Bundesdurchschnitt 161.000 Euro). Auch die größte deutsche Stiftung, die Robert Bosch Stiftung ist Lichtjahre entfernt von der Bill und Melinda Gates Stiftung, in die der Microsoft-Gründer über 31 Milliarden US-Dollar seines Privatvermögens eingebracht hat.
Das Bewusstsein dafür schärfen, wie Seniorinnen und Senioren aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, ist für mich eines der vordringlichen Ziele beim EU-Jahr 2012.
Im gut gefüllten Johann-von-Staupitz-Saal des Erfurter Augustinerklosters entspann sich nach den Vorträgen der beiden Referenten, Hermann Binkert, Leiter des Instituts für neue Soziale Antworten (INSA), und mir, eine durchaus lebhafte Diskussion zur Situation der Älteren in der Gesellschaft und zum Verhältnis der Generationen untereinander.
Herman Binkert stellte die Studie 50+ seines Institutes vor, die intensiv die Einschätzungen der Thüringer zur Fragen der Lebenswirklichkeit älterer Mitbürger untersucht hat. Aus den Fragen zu Themen wie u.a. Selbsteinschätzung, Leistungsfähigkeit, ehrenamtlichem Engagement, Gesundheit, Rentensystem, Mobilität, Demokratie ergab sich ein sehr differenziertes Bild des Alters, dass bei aller realistischer Einschätzung von Problemen aber auch zeigte, dass mit zunehmenden Alter bei den Befragten mehrheitlich die Lebenszufriedenheit steigt.
Ich unterstütze eine solch positive Sicht auch die vielfältigen Möglichkeiten der aktiven Teilhabe der Seniorinnen und Senioren am gesellschaftlichen Leben, auf die das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen den Blick lenken will. Aktives Altern bedeutet, dass man älteren Menschen noch bessere Möglichkeiten bietet, länger gesund zu bleiben, weiterhin einen Beitrag für die Gesellschaft, z.B. durch ehrenamtliche Arbeit, zu leisten und, sofern sie dies wollen und können, länger im Erwerbsleben zu verbleiben.
In Thüringen ist das durchschnittliche Lebensalter der Menschen in den letzten 20 Jahren erfreulicherweise um sechs Jahre gestiegen. Zugleich sind allerdings viele junge Menschen abgewandert und es wurden deutlich weniger Kinder geboren.
Vor dem Hintergrund dieses demografischen Wandels bietet das Europäische Jahr 2012 eine gute Chance, dass öffentliche Bewusstsein in Thüringen weiter dafür zu schärfen, wie Seniorinnen und Senioren aktiv am gesellschaftlichen Leben – von der Gestaltung des Wohnumfeldes über die Nutzung von Bildungsangeboten bis hin zu vielfältigen freiwilligen Engagement – teilnehmen können und wie damit Altersbilder positiv verändert werden.
Angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels u.a. an die Bereiche der Wirtschaft, der Kommunen oder der Finanzen sei absehbar, dass allein staatliches Handeln nicht in der Lage sein wird, die anstehenden Probleme zu bewältigen. Den demografischen Wandel positiv zu gestalten werde nur gelingen, wenn diese Herausforderungen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, die das gesellschaftliche Engagement möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger und aller Generationen verlangen. Hierfür sei es erforderlich, in einen verstärkten Dialog einzutreten, wofür die Veranstaltung in Kooperation mit dem Bildungswerk Erfurt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. einen guten Beitrag leistete.