Wie viele Worte braucht der Mensch?

Das kulturelle Jahresthema 2014 in der Landeshauptstadt Erfurt ist der Sprache und Literatur verschrieben. Schon 2012 hat der Stadtrat das Jahresthema gewählt.  Am 4. Februar 2014 wurde das Jahresthema mit der Fragestellung „Wie viele Worte braucht der Mensch?“ im Festsaal des Rathauses vorgestellt. Für jeden Monat des Jahres war ein anderer Erfurter angefragt, seine Gedanken zum Thema auf der Homepage der Stadtverwaltung vorzustellen. Als CDU-Fraktionsvorsitzender und Generationenbeauftragter habe ich gerne die Möglichkeit genutzt und die Frage beantwortet: Als Generationenbeauftragter des Landes Thüringen sage ich als erstes: Es sind nur drei. Drei Worte, die zwei Menschen sich einander sagen. Mit diesen drei Worten werden zwei Menschen ein Paar. Und ohne Paare gäbe es keine nächste Generation. Wenn diese drei Worte „Ich liebe dich“ ausgesprochen sind, braucht es sogar noch weniger Worte. Da reicht ein Blick, eine Berührung, um zu zeigen, dass man einander nah ist. Für den Ausdruck der Gefühle brauchen Menschen wenige Worte. Für die nächste Generation braucht es aber – als zweites gesagt – sehr viele Worte. Ein Mensch wird nicht nur in eine Welt der Gefühle hineingeboren, sondern auch in eine Welt der Worte. Mit den Worten spannt sich die Welt der menschlichen Kultur auf. „Der Mensch ist Mensch nur durch Sprache.” schrieb Johann Gottfried Herder. Ohne die Sprache eines Martin Luther hätte sich die Kultur im deutschen Sprachraum anders geformt. Die menschliche Kultur an die nächste Generation weiterzugeben heißt daher, diese in eine Welt der Worte einzuführen. Es gibt keine größere Kulturleistung, als die einer Mutter, welche ihrem Kind hilft, sich den Schatz der Muttersprache zu erschließen. Es ist ein großer Schatz, nicht nur allein weil der Wortschatz der deutschen Standartsprache rund fünfundsiebzigtausend Wörter umfassen soll, sondern vor allem, weil mit diesem Schatz der Worte das menschliche Denken so weite Bahnen beschreiten kann. Wenn Ludwig Wittgenstein sagte: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“, folgt daraus, dass je weiter ein Mensch die Grenzen seiner Welt stecken will, er umso mehr Worte braucht. Für einen Dialog der Generationen braucht es viele Worte, nicht nur zwischen Mutter und Kind. Damit die Welt älterer Menschen nicht eng und einsam wird, brauchen sie Menschen um sich, mit denen sie viele Worte wechseln, so dass sie das Gefühl haben können, uneingeschränkt am Leben ihrer Mitmenschen teilzunehmen. Als drittes: Es sollten, ob wenig oder viel, aber auch die richtigen Worte sein. „Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.“ schrieb Gottfried Benn in seinem letzten Lebensjahr. Die Propaganda ist zum Glück weniger geworden, aber Geschwätz hören wir immer noch reichlich. Ein anderer Dichter vor ihm hatte den ersten Satz des Johannesevangeliums anders variiert. Er ließ seinen Faust statt „Am Anfang war das Wort“ schreiben: „Am Anfang war die Tat.“ Sind der Worte wirklich genug gewechselt, sollten wir endlich mehr Taten sehen? Aber vor jeder Tat sollte diese auch daraufhin bedacht sein, welche Folgen sie zeitigt. Für richtige Taten braucht es richtige Gedanken, und dafür die richtigen Worte. In unserer schnelllebigen und tatendurstigen Zeit wäre es gut sich stets mit Georg Christoph Lichtenberg daran zu erinnern: „Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“ Wer Zeit zum Nachdenken hat, der findet auch die richtigen Worte. Es gibt kein größeres Lob für einen Redner oder Sprecher als, die richtigen Worte gefunden zu haben. Ob nun Worte der Anerkennung, des Lobes, der Würdigung, des Ansporns, der Ermutigung, der Hoffnung, der Mahnung, des Trostes, des Zuspruchs oder der Zuversicht, Worte, die der Zuhörer brauchte.  

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