Allgemeiner Frust mit vorläufiger Haushaltsführung 2010

RathausZufrieden verließ gestern Nacht keiner der Erfurter Stadträte das Rathaus und auch Oberbürgermeister Bausewein (SPD) und seine Verwaltung schoben am Ende des Abends nur noch Frust (den allerdings selbstverschuldet!). Fast vier Stunden diskutierten die Stadträte über die von der Verwaltung vorgelegten unaufschiebbaren Ausgaben im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung 2010.   Oberbürgermeister Bausewein hat in diesem Jahr dem Stadtrat entgegen sonstigen Geflogenheiten keinen Haushaltsentwurf sondern nur eine vorläufige Haushaltsführung vorgelegt. Hintergrund dafür sind 30 – 80 Mio Euro (je nach Schätzung) die an Haushaltmitteln fehlen um alle Begehrlichkeiten zu befriedigen. Erste Sparbemühungen scheiterten, weil insbesondere im Sozialdezernat von Frau Thierbach ein großer Teil der Ausgaben nicht verhandelbar sind, bzw. so deklariert wurden. Auch einige der freiwilligen Leistungen wie das Sozialticket und das kostenfreie Mittagessen sowie Personaltarife sind für Bausewein und Thierbach nicht verhandelbar.   So kam es wie es kommen mußte; Die vorläufige Haushaltsführung hobelt mit der Sense durch alle Bereiche. Kürzungen mal 10, mal 25, mal 50 Prozent treffen die Kultur, Sport und vor allem Jugendarbeit. Ein langfristiges Sparkonzept lässt die Stadtverwaltung nicht erkennen, stattdessen suchte Bauswein die Schuld beim Land und beim Bund. In den vergangenen Jahren, als die Haushaltssituation deutlich besser war, wurde keinerlei Vorsorge getroffen für schlechte Zeiten, obwohl Gewerbesteuerrückzahlungen bereits absehbar waren. Stattdessen wurden bei jedem Haushalt ein paar neue Wohltaten verstreut.   Dies rächt sich jetzt bitter. Den Kahlschlag in Jugendarbeit und Kultur werden wir als CDU nicht mittragen. Die viele Jahre aufgebaute Struktur darf jetzt nicht kaputt gehen. Selbst das Land erhöht die Mittel der Jugendpauschale um 50 Prozent. Es ist kurzsichtig in dieser Situation die Jugendarbeit als Sparbüchse zu mißbrauchen. Gemeinsam mit den Linken(das passiert ja selten genug!) haben wir deshalb in diesem Bereich zahlreiche Änderungen angeregt, von denen allerdings viele an der SPD und den Grünen scheiterten. Nach der Abstimmung zahlreicher Änderungsanträge führte dies bei der Schlußabstimmung zu der abenteuerlichen Situation, dass lediglich 8 von 50 Stadträten der vorläufigen Haushaltsführung zustimmten, 42 enthielten sich der Stimme. Lediglich die Grünen und die Freien Wähler wollten dieses Stückwerk mittragen. SPD, Linke, CDU und FDP und sogar der OB enthielten sich der Stimme, freilich aus völlig unterschiedlichen Gründen. Für uns und die Linken war nach der Ablehnung der Anträge im Jugendhilfebereich keine Zustimmung mehr möglich, die FDP will so schnell wie möglich einen regulären Haushaltsentwurf und SPD und OB wollten eigentlich Kultur, Sport und Jugendarbeit stärker schröpfen. Deshalb kündigte der OB auch an zu prüfen, ob der Beschluß beanstandet wird.   Leider gehörte die gestrige Stadtratssitzung nicht zu den Sternstunden der Kommunalpolitik. Unsere neue Stadträtin Sandra Tyroller, die das Mandat von Marion Walsmann übernahm, bekamm gleich einen prägenden Eindruck was sie im Rathaus erwartet. Gefreut habe ich mich aber über die vielen guten Wünsche und Nachfragen aus allen Fraktionen. Bei allen politischen Differenzen, tut es gut zu wissen, dass die Sorge um die Gesundheit der politischen Mitbewerber ehrlich gemeint ist. Auch wenn ich gestern kräftemäßig noch nicht selbst in die Stadtratsdiskussion eingreifen konnte, werde ich spätestens bei der nächsten Sitzung Ende Januar wieder mitmischen. Konstruktive Kritik ist notwendig und gehört zur Kommunalpolitik.

11 Gedanken zu „Allgemeiner Frust mit vorläufiger Haushaltsführung 2010“

  1. Nicht erst seit diesem Jahr müssen wir den Gürtel enger schnallen. Das erzählt man dem Bürger im Bund, im Land und in der Kommune. Ich weiß gar nicht mehr, wann es uns irgendwann mal so gut ging, dass wir nicht ans Sparen, sondern ans Investieren ging.

    Nun, natürlich soll jeder städtische Sektor eine solide Finanzierung erhalten. Ich würde weder in der Jugendbetreuung, im Sozialbereich, in der Kultur und im Sport sparen. Wo können wir denn sparen? Ich weiß gar nicht, was es noch so für städtische Bereiche gibt, die so viel Geld verschlingen. Wie komme ich denn an die groben Daten, um mir überhaupt eine Vorstellung der Dimensionen machen zu können?

    Man bekommt immer nur ganz wenige Finanzforderungen mit, zu denen man eine ambivalente Meinung haben kann: Fußbodenheizung des Steigerwald-Stadions (und Neubau der Hybrid-Variante?), Luther-Themenjahr, Finanzierung von Schotte und IMAGO, um nur einige zu nennen. Davon liest man prominent in der Presse. Letztlich tut es mir um jedes Projekt und jeden Verein leid, der wenigtens die bisherigen Fördergelder bekommen möchte.

    Also nochmal: Wo und wie kann ich mir ein Bild davon machen, in welche Bereiche bisher und mit neuem Haushalt wieviel Euro fließen? Danke.

  2. Den bisherigen Haushalt der Stadt Erfurt (HH-Jahr 2009) gibt es sowohl virtuell http://www.erfurt.de/ef/de/engagiert/bbhaushalt/haushalt/2009/ , als auch bei den Fraktionen im Stadtrat. Den neuen Haushalt gibt es zur Zeit noch nicht einmal als Entwurf. Vorgesehen ist wieder die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, allerdings bis jetzt wurden dazu nur „Wünsche“ abgefragt und noch nicht die Eckdaten des HH vorgestellt. Ich biete gerne an, dass wir uns Anfang des Jahres dazu einmal intensiv verständigen. Etwas Genesungszeit brauch ich noch und der Haushalt gehört zu den Aufregern… 😉
    Viele Grüße und eine schöne Adventszeit wünscht
    Michael Panse

  3. Sehr gut, vielen Dank! Ich werde mich mal genauer mit den Zahlen und Ausgabeposten beschäftigen.

    Was mich aber noch interessieren würde: Wo kann man im städtischen Verwaltungshaushalt sinnvoll sparen? Personalkosten von 140 Mio. Euro klingen erst einmal enorm, wird aber vermutlich relativiert, wenn man bedenkt, dass die Stadtverwaltung etwa der größte Arbeitgeber ist. Es kann schon sein, dass einige Mitarbeiter zu viel bekommen, mir fällt da spontan die Geschäftsführung der Stadtwerke ein. Ob deren Pensionen unangemessen hoch waren kann und will ich nicht kommentieren. Zumindest kann es nicht sein, dass Gehälter und Verträge von einfachen Mitarbeitern begrenzt und befristet sind und die Geschäftsführung Geld unterschlägt. Aber das allein ist nicht die Ursache für den schlechten Haushalt.

    Ich akzeptiere es auch nicht, dass die Schuld vor allem Herrn Bausewein und der SPD gegeben wird. Riesige Investitionen wie der Theater-Neubau (damals noch Neue Oper) als Prestigeprojekt von Herrn Ruge dürften sich auch noch heute finanziell bemerkbar machen, glaube ich.

    Insgesamt respektiere ich die anstrengende Arbeit im Stadtrat, über diese Finanzen zu entscheiden. Unangenehme Kürzungen gibt es immer, und immer trift es die Falschen 😉

    Auch von mir viele Genesungswünsche und einen fröhlichen Advent.

  4. Noch eine Ergänzung:
    „Allein für die Kosten der Unterkunft an Arbeitssuchende muss die Stadt 62,2 Mio. Euro aufwenden.“

    Darin zeigt sich meiner Meinung nach das wahre Dilemma. Die Stadt stützt die Arbeitssuchenden („Hartz IV“), was ein durchaus großer Posten im Haushalt darstellt. Auch dadurch muss der Haushalt eingeschränkt werden, was zu weniger Investitionen und weniger Arbeitsplätzen führt, was wiederum zu mehr Arbeitslosen mit Anspruch auf ALG II führt.
    So gesehen muss ein wichtiges Ziel der Stadt sein, Unternehmen zu fördern und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Daher können die Ausgaben im Bereich Kultur, Sport und Jugend nicht gesteigert werden. Die Vorstellung frustriert mich ehrlich gesagt ein wenig.

  5. Es passiert leider viel zu oft, daß gerade in Erfurt die beiden DDR-Regierungsparteien (SED und CDU) zusammen gehen.
    Ich erinnere da nur an das Fahrradverbot im Bahnhofs-Tunnel als einem neueren Beispiel…

    Na, wenigstens begreifen dies mehr und mehr Menschen, so daß ihr nicht mehr ganz so viel Schaden anrichten könnt wie vorher.

  6. @StephanJ Danke für die Hinweise und Anregungen. Ich finde es richtig die Auseinandersetzungen in sachlicher Form und unter Einziehung der Bürgerinnen und Bürger zu führen. An der jetzigen HH-Situation trägt auch die CDU ihre Mitschuld und da ich seit 1993 im Stadtrat bin, auch ich persönlich. Wir haben große teure Projekte beschlossen, die uns jetzt viel Geld kosten (gerade auch im Sportbereich, Eishalle, Leichtatlethikhalle, Radrennbahn, Schwimmhallen). Wir haben andere Projekte nicht durchgesetzt, die der Stadt Geld gebracht hätten (Hirschgartenbebauung). Deshalb müssen wir jetzt auch gemeinsam Lösungen suchen. Es gab bereits vor Jahren ein Haushaltskonsolidierungskonzept, welches aber nie konsequent umgesetzt wurde. Dies werden wir wohl jetzt wieder benötigen. Wie bereits angeboten, würde ich dazu Anfang des Jahres gerne zu einem Gespräch zur Verfügung stehen.

  7. @Flexi Ich gehe gerne auf sachliche Kommentare ein, Ihr Kommentar ist aber nur Unfug. Ein Blick in die Verfassung der DDR reicht um zu verstehen, wie das mit der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse war. Mit den kommunistischen Verbrechern hatte und hat die CDU nicht gemein.
    Schlimm finde ich es daher (gerade wenn es um Erfurt und Thüringen geht), dass ausgerechnet die Grünen und die SPD Koalitionsverhandlungen mit den SED-Erben geführt haben. In der Stadt Erfurt war das Koalitionspapier schon unterschrieben und fertig und im Land hat die SPD gerade noch die Kurve bekommen. Wer vom Fahrradverbot im Bahnhofstunnel seinen ganzen persönlichen Politikfrust ableitet, kann keine ernsthafte politische Diskussion erwarten.

  8. Es steckt bekanntlich nicht nur Erfurt in der Finanznot. Dass manche Projekte der Vergangenheit überdimensioniert waren, lässt sich nicht mehr ändern. Dennoch ist die Pro-Kopf-Verschuldung der Stadt im Vergleich mit anderen Kommunen, so meine Einschätzung, noch halbwegs im Rahmen. Das Problem (wie generell in Ostdeutschland) ist eben, dass die Finanzkraft (Stichwort Steuerdeckungsquote) weiterhin zu gering ist, um bspw. eine ordentliche Rücklage zu bilden, um mit solchen Steuereinbrüchen halbwegs zurechtzukommen. Das Gewerbesteueraufkommen von 76 Mio. ist für eine solche Stadt geradezu mickrig, dennoch stellt ein Einbruch allein hier den ganzen Stadthaushalt in Frage. Das ist bezeichnend, lässt sich aber nicht durch eine Erhöhung der Gewerbesteuer lösen. Erfurt braucht erfolgreiche Unternehmen, Unternehmen brauchen Luft für Investitionen.

    Was StephanJ so ohne Scheuklappen ausgesprochen hat, ist wahr: Sozialleistungen sind immer auch ein Stückweit Subventionierung von Armut, und derartige konsumtive Ausgaben verdrängen Investitionen in die Infrastruktur etc., die nicht nur nachhaltig(er) sind, sondern auch mehr Wohlstand generieren können.

  9. An Herrn Panse gerichtet habe ich übrigens zwei konkrete Fragen:

    – Kürzlich wurde der Finanzierung einer neuen Rasenheizung im Steigerwaldstadion zugestimmt. Wird damit auch die Idee umgesetzt, die Abwärme der Eislaufhalle für die Beheizung zu nutzen? Hier hätte die teure Eislaufhalle doch mal eine positive Externalität.

    – In der Antwort einer Stadtratsanfrage, der Internetpräsenz der grünen Konkurrenz entnommen, heißt es über den möglichen Umbau des Karl-Marx-Platzes:
    „Im Zusammenhang mit dem EFRE-Programm für den Förderzeitraum 2008-2013 war
    die Neugestaltung der Platzoberflächen des Karl-Marx-Platzes vorgesehen. Durch
    die kürzlich bekannt gewordenen dramatischen Verschlechterungen der Förderbe-
    dingungen durch den Freistaat und die daraus folgenden erheblichen Mehrbedarfe
    an Komplementärmitteln aus dem städtischen Haushalt ist die Durchführung dieser Maßnahme sehr unwahrscheinlich geworden.“
    Das wäre schon ein Hammer, wenn bis 2013 nicht alle EU-Fördermittel abgerufen würden. Die angedachten EFRE-Projekte, die in der HH-Satzung 2009 aufgeführt sind, erscheinen mir sinnvoll und werten gerade unsere Altstadt weiter auf (man bedenke auch Innenentwicklung, Tourismus, Langfristigkeit, usw). Inwieweit stehen weitere Projekte auf der Kippe? Der Anger und die Michaelisstraße werden ja immerhin in nächster Zeit saniert.

    Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen, aber lassen Sie sich bloß Zeit und erholen sich erst einmal. Beste Grüße.

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